Ereignisbericht für April 2022
An einem Freitag Abend im Februar erhielten wir und weitere Streifenwagen den Einsatz:
„X-Straße, Messerstecherei, zwei Verletzte, drei Täter flüchtig!“
Wir liefen zu unserem Streifenwagen und fuhren mit Sonderrechten in unser Nachbar-PK-Gebiet im Osten Hamburgs. Zur Täterbeschreibung gab es zunächst folgende Informationen: drei Täter, männlich, dunkelhäutig, dunkle Kleidung. Die Körperverletzungen sollten mittels eines Messers und mit einer großen Metallstange begangen worden sein. Wir wurden nicht direkt am Tatort, sondern zur Fahndung nach den Tätern eingesetzt. Dazu erhielten wir den Auftrag, einen nahe gelegenen U- Bahnhof nach möglichen verdächtigen Personen abzusuchen. Auf dem Weg dorthin hielten wir die Augen natürlich ebenfalls offen.
Als wir am U-Bahnhof eingetroffen waren, gingen wir die Treppen hoch in Richtung der Gleise. Dort verschafften wir uns einen ersten Überblick und gingen den Bahnsteig entlang. Der Bahnsteig war ziemlich leer. Lediglich eine Person saß auf einer Bank und wartete vermutlich auf die nächste Bahn. Gefahndet wurde zwar nach drei Tätern und nicht nur nach einem, aber auf den auf der Bank sitzenden jungen Mann traf die Täterbeschreibung zu. Wir gingen auf ihn zu und bemerkten schnell, dass der Mann Blut an seinen Händen hatte. Bei genauerem Hinsehen, stellten wir dann ebenfalls große Mengen Blut auf seinen Schuhen und seiner Jacke fest.
Durch die Blutanhaftungen an Händen und Kleidung ergab sich für uns ein Tatverdacht. Mein Anleiter forderte den Mann auf, die Hände so zu halten, dass wir sie sehen konnten. Wir wollten sichergehen, dass der Mann keine gefährlichen Gegenstände mehr in den Händen hielt. Außerdem fragte er ihn, ob er ein Messer dabei habe. Dies verneinte der Mann. Zur Eigensicherung aber auch zum Auffinden von Beweismitteln durchsuchte mein Anleiter den Mann und die von ihm mitgeführte Umhängetasche. Dabei fand er in der Tasche ein Messer mit Blutanhaftungen und eine Tüte Marihuana, einen sog. Zufallsfund. Jetzt wurde die vorläufige Festnahme ausgesprochen. Der Verdächtige verhielt sich weitestgehend kooperativ, sodass wir ohne Komplikationen gemeinsam zu unserem Streifenwagen gehen konnten. Wir fuhren dann an das PK 33.
Dort ging es zunächst in die sichere Garage und von dort aus zum Sachenabnahmeraum. Hier wurden Fotos von dem Mann gemacht, um festzuhalten, wie der Täter bei der Tatbegehung ausgesehen hat. Es dient zur Beweissicherung. Nach Rücksprache mit der Kripo asservierten wir dann noch alle relevanten Gegenstände. Hierzu gehörte die ganze Kleidung mit den Blutanhaftungen, das Messer und das BtM. Auch die Blutspuren und die Verletzungen an den Händen wurden gesichert. So ist es später möglich, dem Täter die Tat nachzuweisen. Am PK 33 erfuhren wir, dass die Tat jetzt sogar als versuchtes Tötungsdelikt gewertet wird.
Im Folgenden möchte ich noch einmal die Durchsuchung rechtlich beleuchten:
Zunächst wurde die verdächtige Person nach SOG durchsucht. Gemäß § 15 SOG darf eine Person nach gefährlichen Gegenständen durchsucht werden, wenn deren Personalien nach diesem Gesetz
oder anderen Rechtsvorschriften festgestellt werden soll und wenn dies zum Schutz von Bediensteten gegen eine Gefahr von Leib und Leben erforderlich ist. Aufgrund des mitgeführten Messers lag diese Gefahr vor. Zusätzlich durchsuchten wir den Mann auch gemäß §163b StPO nach einem Ausweis und gem. §102 StPO nach Beweismitteln. Alle diese Rechtsgrundlagen hatten wir zuvor schon an der Akademie der Polizei mit unseren Ausbildern besprochen.
Wenn jemand mit einem Messer verletzt wird, liegt mindestens eine gefährliche Körperverletzung und somit eine schwere Straftat vor. Des Weiteren hielt sich der Mann in unmittelbarer Nähe des Tatorts auf, die Personenbeschreibung passte und er hatte blutige Hände und Kleidung. Deshalb war er ein Verdächtiger und wir durften die genannten Maßnahmen gegen ihn durchführen.
Das Auffinden des Messers mit Blutanhaftungen hat eine erhebliche Beweisbedeutung. Zudem waren die Maßnahmen verhältnismäßig. Die Durchsuchung war notwendig für die Erforschung der Straftat und hat zum Auffinden der gesuchten Beweismittel geführt. Die Abwägung des Grundrechtseingriffs (Art. 2GG, Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) gegen den Strafanspruch des Staates, führt dazu, dass der vergleichsweise geringe Grundrechtseingriff durch die betroffene Person hinzunehmen ist. Außerdem handelte es sich um eine schwere Straftat.
Nun werde ich schildern, wie ich mich während des ganzen Geschehens gefühlt habe:
Auf der Anfahrt gingen wir von einer Messerstecherei und somit einer gefährlichen Körperverletzung aus. Als wir auf dem Weg zum Einsatzort waren, machte ich mir zunächst keine speziellen Gedanken. Ich probierte einfach, für den Moment zu funktionieren, denn ich hatte als Praktikantin schon ziemlich viel zu bedenken. Es müssen auf dem Funkgerät die Statustasten gedrückt werden, das Radio wird ausgeschaltet und der Funk ganz laut gestellt. Außerdem beobachtet man auch als Beifahrer den Verkehr ganz genau, besonders an Kreuzungen, denn vier Augen sehen mehr als zwei. Dann kamen sehr viele Meldungen über Funk, die ich mir in mein Merkbuch aufschrieb, zum Beispiel die
Täterbeschreibung und die Fluchtrichtung. Und zudem alle Aufträge, die von dem mit der Führung beauftragten FuStw an die eingesetzten Kräfte weitergegeben wurden. Auf diese muss man teilweise auch über Funk antworten. Als wir dann am U-Bahnhof ankamen und die Treppen hochliefen, hatte ich mich auf alles eingestellt. Am Ende des Bahnsteigs sahen wir dann, wie sich später raustellte, den Verdächtigen auf einer Bank sitzen. Augenscheinlich wirkte diese Person eher kindlich auf mich. Aus diesem Grund war ich erst einmal auch nicht in aller höchster Alarmbereitschaft. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt nämlich nicht gedacht, dass so eine junge Person zu so etwas fähig sein könnte.
Aber genau aus dieser Situation habe ich gelernt, dass der Schein trügen kann. Als Polizeibeamtin muss man immer mit allem rechnen und auf alles gefasst sein. Das Alter, Geschlecht, Aussehen etc. spielen keine Rolle.
Mein Bauchgefühl änderte sich allerdings auch schnell, als ich nach und nach immer mehr Blut an der
Kleidung des Verdächtigen feststellte. Ich hatte in diesem Moment zusammen mit meiner Anleiterin die Rolle der sichernden Beamtin. Währenddessen durchsuchte mein Anleiter die männliche Person.
Ich habe probiert, alles unter Kontrolle zu haben, um mich und meine Kollegen bestmöglich zu sichern. Dabei war ich durchaus nervös und angespannt, da ich nicht wusste, was als Nächstes passieren würde. Als mein Anleiter bei der Durchsuchung der Umhängetasche dann das Messer mit den Blutanhaftungen gefunden hatte, wurde er zum ersten Mal etwas lauter. Vorher hatte er den Verdächtigen nämlich bereits gefragt, ob er gefährliche Gegenstände bei sich tragen würde und dies hatte der verneint. Durch das Auffinden des Messer wurde mir etwas mulmig zumute, da sich die Situation von Sekunde zu Sekunde wandelte und immer bedrohlicher schien.
Obwohl ich innerlich ziemlich angespannt war, denke ich, dass ich das nicht nach außen getragen habe.
Der Verdächtige verhielt sich letzten Endes auch weitestgehend kooperativ, sodass wir ihn ohne Probleme an das PK 33 verbringen konnten. Da wir das aber vorher nicht wissen konnten, war ich während der gesamten Maßnahmen sehr konzentriert.
Am PK 33 bekamen wir dann die Nachricht, dass das Delikt von der Kripo zum Tötungsdelikt hochgestuft wird. Außerdem zeigte mir ein Kollege Fotos vom Tatort mit dem vielen Blut. Als wir dann alle Berichte fertig geschrieben und alle Asservate erfasst hatten, ging es für uns zurück an unser PK. Auf der Fahrt dorthin haben meine Anleiter und ich das Geschehene nochmal besprochen und ich bin mit einem guten Gefühl in den Feierabend gegangen. Ich habe diesen Einsatz bisher gut verarbeitet. Die Fotos vom Tatort und die Festnahme eines blutverschmierten Täters sind
wirklich nicht alltäglich!