Bestimmt das Recht noch...
...was die Technik darf? Die Digitalisierung als Herausforderung für das Recht.“
Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., zu Gast beim Hamburger Forum für Sicherheit und Recht in der digitalen Transformation.
Big-Data, FinTech, Künstliche Intelligenz, Blockchain oder autonom agierende Maschinen – die rasant fortschreitende Digitalisierung stellt die Gesellschaft und den Staat vor neue Herausforderungen. Chancen, welche die Digitalisierung für ein besseres Leben bietet, müssen gerecht verteilt, und von ihr ausgehende Gefahren identifiziert und abgewehrt werden. Im demokratischen Rechtsstaat geschieht dies durch gesetzliche Regelungen, die von den Parlamenten erlassen, von der Verwaltung und der Polizei vollzogen und von den Gerichten kontrolliert werden. Die Digitalisierung stellt jedoch die Steuerungskraft des Gesetzes selbst in Frage. Verbote, Gebote und andere Formen der rechtlichen und gesetzlichen Regulierung erweisen sich zunehmend als wirkungslos oder hinken der technologischen Entwicklung hinterher. Bestimmen Gesetz und Recht also noch, was die Technik darf? Werden sie ihrer demokratischen Aufgabe der Verteilung von Chancen und Risiken noch gerecht?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Vortrags von Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. und Justizsenator a.D., im Rahmen der dritten Veranstaltung der Reihe „Sicherheit, Recht und Vertrauen in der digitalen Gesellschaft“. Ausgangspunkt des Vortrags bildeten die Freiheitsrechte jedes Einzelnen und hier insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das gewährleistet, dass jeder selbst bestimmen darf, was mit seinen personenbezogenen Daten passiert. Selbstverständlich blieben diese Rechte auch in der Digitalisierung maßgebend, allerdings – so Hoffmann-Riem – sei die Frage berechtigt, ob sie bei Steuerung von Verhalten durch Algorithmen auch hinreichend wirkungsvoll seien, den versprochenen Freiheitsschutz zu gewährleisten. Diese Frage müsse man sich etwa angesichts der Entwicklung in China stellen, wo erste Experimente liefen, die Menschen mit Hilfe digitaler Techniken in ihrem Verhalten umfassend zu erfassen und zu bewerten.
Es deute sich ein System der Zensur und der automatisierten Sanktion an für den Fall, dass der Einzelne nicht normkonform handele. Auch wenn eine solche Entwicklung in Deutschland nicht unmittelbar bevorstehe, so Hoffmann-Riem, zeige sie jedoch, wie wichtig es sei, den Einsatz von Algorithmen transparent zu machen – schon allein um hinterfragen und überprüfen zu können, nach welchen Kriterien deren Programmierung erfolge. Eine rechtlich angeleitete Kontrolle finde indes bislang kaum statt. Würde in einen Algorithmus etwa eine diskriminierende Funktion eingebaut, dürfte dies kaum bemerkt werden. Das Recht dürfe aber seinen Anspruch, die Technik zu gestalten und mitzubestimmen, nicht aufgeben. Angesprochen ist nicht nur das Datenschutzrecht, sondern – weil die Digitalisierung alle Lebensbereiche betreffe – grundsätzlich alle Rechtsgebiete. Zugleich könne das Recht diese neuen funktionalen Ansprüche nur erfüllen, wenn es seine Lernfähigkeit verbessere, um flexibel und zeitnah auf Entwicklungen reagieren können. So erwiesen sich bisherige Formen der regulierten Selbstregulierung wie etwa Allgemeine Geschäftsbedingungen als ungeeignet, was sich z.B. bei den AGB der großen Internetfirmen zeige.
Solche Geschäftsbedingungen seien entgegen der gesetzgeberischen Vorstellung tatsächlich eben nicht zwischen Anbieter und Nutzer ausgehandelt. Die AGB seien zudem nicht selten unverständlich und würden von vielen Nutzern schon nicht gelesen werden. Eine Selbstregulierung der Beteiligten finde insoweit nicht statt.
Der Vortrag stieß unter den rund 50 Gästen aus verschiedensten Bereichen und Institutionen der Stadt eine intensive Diskussion um die Rolle des Rechts, des Staates und seiner Instrumente im Internet an.
Die Veranstaltungsreihe „Sicherheit, Recht und Vertrauen in der digitalen Gesellschaft“ wird fortgeführt.