Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus
Wir vergessen nicht!
Walter ist zwölf Jahre alt, als er seine Reise Richtung Hamburg antritt. Er hat seine Kappe vergessen, läuft zurück zu Mutter und Schwester, um sie zu holen. Dann stellt er sich als Letzter der Reihe wieder an. Dreht sich um. Lächelt. Winkt. Es ist das letzte Mal, dass Mutter und Schwester den Jungen sehen – es wird überhaupt seine letzte Reise sein.
Die leise Stimme von Nicole Mattern, Vorsitzende der Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm e.V., erfüllt das PAZ, als sie die Erinnerungen von Walter Jungleibs Schwester wiedergibt. Walter war eines der 20 Kinder, das 1945 in der Schule am Bullenhuser Damm sein Leben verlor. Eines von rund 6 Millionen Opfern, die der Nationalsozialismus forderte.
Liegt sonst beschwingtes Stimmengewirr in der Luft, herrscht anlässlich des Gedenktages ehrfürchtige Stille im PAZ. Die Reihen sind bis auf den letzten Platz gefüllt, von den Fensterbänken und im Umlauf des ersten Stockes lauschen unzählige weitere Zuhörer.
Eine junge Frau wischt sich verstohlen ein paar Tränen aus dem Augenwinkel, als Frau Mattern weiter berichtet: Wie die 20 jüdischen Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren dem dunklen Ruf des SS-Arztes folgten. Wie die zehn Mädchen und zehn Jungen monatelang als Versuchsobjekte für medizinische Experimente missbraucht wurden und schließlich schlafend an Wandhaken erhängt wurden.
Heute undenkbar – oder?
Nachdenkliche Töne werden während der Veranstaltung angeschlagen. Dabei wird einmal mehr klar: Wir tragen alle Verantwortung und müssen mit offenen Augen durch die Welt gehen.
Damit sich so etwas niemals wiederholt.